Der Autor

Jürgen Liminski

Auf einen väterlichen Menschen

von Stephan Baier

Jürgen Liminski war erfüllt von Verantwortungsbewusstsein, aber mit einer Fröhlichkeit, die aus wahrer Tiefe kommt.

„Männer wie wir, die sterben in den Stiefeln!“

Nein, das ist kein Satz aus einem John-Wayne-Klassiker, den ein Revolverheld dem anderen zuraunt, bevor beide einen Schluck Whiskey aus der Flasche nehmen und ins Abendrot reiten. Jürgen sagte das zu mir, schelmisch lächelnd, bei einem gemeinsamen, ausgesprochen gemütlichen Frühstück im bayerischen Benediktinerkloster Weltenburg. Er lächelte, ich lachte. Wir wussten beide, dass er recht hat: Einer wie er, der konnte nicht in Ruhestand gehen, die Füße hochlegen und der Welten Lauf unkommentiert lassen. Jürgen Liminski war aus anderem Holz geschnitzt.

Für die Wahrheit, die gewiss frei macht

Ich kann nicht sagen, wer er war, nur wie ich ihn erlebte. Jürgen Liminski war ein Mann, der Verantwortung übernahm: für seine große Familie und für die Familie als gesellschaftliche Größe, für seine Freunde und den Wert der Freundschaft, für den Glauben der Kirche, der ja sein Glaube war, für die Wahrheit, die gewiss frei macht und – wo die Lüge herrscht – mitunter auch arm und einsam machen kann, für sein Land und viele Länder, die er im Laufe seines Lebens kennen- und lieben lernte. Warum ausgerechnet Selbstverwirklichung (die vielleicht folgenschwerste Parole meiner Jugendepoche) frei und glücklich machen soll, hat er sicher nie verstanden. Jürgen war frei und glücklich, weil es ihm nie um seine eigene Selbstverwirklichung ging, sondern um andere: um seine geliebte Martine, um die Kinderschar, von der er auch Ernstes sehr witzig erzählen konnte, um seine Kirche, um die Zukunft Deutschlands, Frankreichs, Europas, des Libanon, überhaupt des Orients und der Welt.

„Ich muss jetzt mal mit einem Erwachsenen reden!“

Jürgen Liminski war so etwas wie der Prototyp des väterlichen Menschen, nicht nur für seine eigenen 10 Kinder und 21 Enkel, sondern immer und überall: souverän, wohlwollend und fördernd, Richtung weisend und Stimmungen aufhellend. Wurde er so, weil er – 1950 in Memmingen geboren – bereits im Alter von sechs Jahren den Vater verlor, und später auch den Stiefvater? Oder weil ihn zehn leibliche Kinder und eine Frau mit riesigem Mutterherzen zu immer tieferer Väterlichkeit erzogen? Oder hatte ihn der glaubende, betende Blick auf den göttlichen Vater im Laufe der Jahrzehnte so durchdrungen und geformt? Für mich als eineinhalb Jahrzehnte jüngeren Kollegen und Freund war Jürgen jedenfalls so sehr väterlicher Kummerkasten und souveräner Ratgeber, dass ich (mit Mitte 50, bitte!) spontanen Stolz fühlte, als er mich einmal wutschnaubend anrief und seinen eigenen Kummer mit der Bemerkung ablud: „Ich muss jetzt mal mit einem Erwachsenen reden!“

Der Chefredakteur und die alten Hasen

Erfahren, aber nicht abgebrüht, konnte er sich ärgern, ja sogar aufregen. Aber er war – und ich habe den starken Verdacht, dass er das seiner Frau abgeschaut hat – auch noch freundlich, wenn er widersprach, und charmant, wenn er kritisierte. Er musste nicht laut werden, weil er wusste, dass Argumente leise vorgetragen besser gehört werden. Er musste auch keine Autorität ausspielen, denn er war ja souverän. Dabei waren wir uns meist, aber keineswegs in allem einig: Ich erinnere mich an eine Tagespost-Autorenkonferenz im Jahr 2008, bei der Jürgen (mir direkt gegenüber sitzend) die redaktionsinterne Pluralität unserer damals noch dreimal wöchentlich erscheinenden katholischen Zeitung pries. Er sagte: „Am Dienstag lese ich den Leitartikel vom Baier, und am Donnerstag schreibe ich an derselben Stelle das Gegenteil.“ Jene Anwesenden, die uns und unsere Freundschaft nicht kannten, schwiegen betreten – der Chefredakteur und die alten Hasen lachten herzhaft.

Für die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Unterdrückten, die Vergessenen

Jürgen Liminski war ein Journalist, der etwas wollte. In den weltanschaulichen Auseinandersetzungen seiner und unserer Zeit war er nicht neutral, sondern ergriff Partei – für die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Unterdrückten, die Vergessenen. Etwa für die steuerrechtlich, medial und gesellschaftlich marginalisierte Familie, für die ungeborenen Kinder, für die Christen im Orient, für die Werte, die Europa einst groß und schön gemacht haben und die heute fast widerspruchslos in den Staub getreten werden, für die Kirche und ihre Botschaft. Er kämpfte mit offenem Visier, ohne jede Heuchelei, mit der Waffe des Wortes. Und auch dann noch mit heiterer Gelassenheit, wenn ihm Geld- oder Arbeitgeber offen zu verstehen gaben, dass seine Wahrheit gerade gar nicht opportun sei. „Die Welt“, der er außenpolitisches Gewicht gab, trennte sich von dem allzu Konsequenten. Sein Kollege Carl Gustaf Ströhm, damals in Wien residierender Osteuropa-Korrespondent der „Welt“, rief mich damals an: „Wo sind jetzt die katholischen Truppen? Wo sind die Bischöfe und der Vatikan? Der Limi ist doch ihr Mann!“ Der Protestant Ströhm konnte nicht verstehen, warum die damals noch als mächtig geltende katholische Kirche schwieg, als einem der Ihren Unrecht getan wurde.

Aber die Wirklichkeit ist ja viel schlimmer, denn eine betont christliche Wochenzeitung (die trotz kirchlicher Subventionen heute nicht mehr existiert) flirtete mit der Idee, Jürgen Liminski zum Chefredateur zu machen – doch einer der katholischen Herausgeber wollte keinen Opus-Dei-Mann. Jürgen erzählte mir viele Jahre später, man habe ihm geraten, kurz aus „dem Werk“ auszutreten, Chefredakteur zu werden und dann wieder beizutreten. Im Rückblick lachte er auch darüber: über die Idee, seine Berufung abzulegen wie einen Mantel, wohl auch über die schlechte Menschenkenntnis jener, die ihm solches nahelegen. Für solche Tricksereien war Jürgen viel zu konsequent, zu ehrlich, zu gerade. Ein „homo politicus“ gewiss, aber kein Machiavellist. Ein kluger Kopf, aber kein taktierender.

Eine Reihe von Zeitungen

Die Ungerechtigkeit der Welt (an sich wie ihm gegenüber) hat er durchschaut, doch gebrochen hat sie ihn nicht. Er ließ sich sein inneres Gleichgewicht, seinen Seelenfrieden und seine Fröhlichkeit nicht nehmen. Auch nicht seinen enormen Fleiß, der – neben der brillanten Feder und der breiten Sachkenntnis – nun einmal auch zum journalistischen Erfolg gehört. Jahrzehntelang schrieb er ebenso kundig wie emsig für eine Reihe von Zeitungen, von den in Bozen erscheinenden „Dolomiten“ bis zum „Flensburger Tageblatt“, von der „Magdeburger Volksstimme“ bis zum „Luxemburger Wort“. Jürgen Liminski war ein Mann des geschriebenen Wortes, aber auch des gesprochenen. Beides bewies er als Kolumnist, Buchautor, Moderator, Vortragsredner und in 26 Arbeitsjahren beim „Deutschlandfunk“.

Bei der „Tagespost“, wo ich ab 1999 sein Kollege sein durfte, war er rund vier Jahrzehnte als nimmermüde Edelfeder, als intimer Kenner Frankreichs, Spaniens, des Orients und der deutschen Innenpolitik hochgeschätzt – und als Kollege und Freund be- und geliebt. Als wir im Zuge des Umbaus zur Wochenzeitung eine Familien-Seite erfanden, war er als Seitenverantwortlicher die allererste Wahl. Und er bespielte diese Seite mit einigen Gastautoren, vor allem aber selbst unter Klarnamen wie unter Pseudonym, mit nationaler und internationaler Familienpolitik, demografischen Analysen und hin und wieder mit Einblicken ins liminskische Familienleben.

„Eines Tages ziehen die Kinder aus – und die Schulden, die lassen sie da.“

Der Satz fiel in einem unserer letzten Telefonate. Sein Schmunzeln hörte ich durchs Telefon. Seinen pädagogischen Hintergedanken auch. Ja, Kinder kosten auch Geld. Verantwortung, wenn man sie konsequent wahrnimt, kann teuer werden. Und sie endet auch nicht mit der juristischen Volljährigkeit der Kinder oder ihrem Auszug aus dem elterlichen Haus. Einer wie Jürgen Liminski sagt eben – im Gegensatz zum letzten Sachsen-König, Friedrich August III. – nie, man solle nun seinen „Dreck alleene“ machen. Er tat es in der Familie nicht, im Journalismus nicht und in seinem vielfältigen Dienst an Kirche und Welt auch nicht. Einer wie er, der hilft, will immer mehr und immer weiter helfen. Und muss darum immer mehr und immer weiter arbeiten, recherchieren und schreiben, kommentieren und analysieren. Männer wie er, die sterben in den Stiefeln. Pflichterfüllung, aber mit ganz viel ansteckender Lebensfreude und einer Heiterkeit, die aus der Tiefe kommt.

Stephan Baier